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Spotify gibt den Teams Autonomie, damit schneller Fehler gemacht werden können

“Wir sind bestrebt, schneller als alle anderen Fehler zu machen“, sagt Daniel Ek, Gründer der schwedischen Musikstreaming-Firma Spotify. Eks Rationale: Um etwas wirklich Tolles zu schaffen, wird man unweigerlich Fehler machen. Aber aus jedem Scheitern kann man lernen. Also bedeutet schnelles Scheitern auch schnelles Lernen und damit schnelle Verbesserung. Geschwindigkeit ist essentiell. Für Spotify ist das eine langfristige Erfolgsstrategie.


Spotifys Streaminginnovation

Spotify wird am 14. Juli 2006 von Daniel Ek und Martin Lorentzon in Stockholm gegründet. Beide sind Seriengründer skandinavischer Online-Start-ups. Ek war vorher für kurze Zeit CEO von uTorrent, das mit raubkopierter Musik und Filmen auf BitTorrent Geld verdiente. Ek und Lorentzon entwickeln die Vision eines Unternehmens, das den Kunden Musik genauso bequem wie die Raubkopierer verfügbar macht, aber auf legale Art. Im Oktober 2008 sind sie so weit. Sie haben die meisten weltgrößten Firmen, die Musikrechte halten, wie z.B. Universal Music Group, Sony Music Entertainment und Warner Music Group von ihrer Idee überzeugen können und führen ihren Streamingdienst in Schweden ein. Sie verfolgen ein Freemium-Geschäftsmodell, d.h. es gibt eine kostenlose Streamingversion mit Werbung und eine gebührenpflichtige Premium-Version, die dem Nutzer - neben dem Verzicht auf Werbeunterbrechung - Vorteile bietet bei der Anzahl der zugänglichen Musikstücke, bei der Klangqualität und bei der Offline-Nutzung. Nach dem Start geht es mit dem Geschäft steil aufwärts. Als Spotify im Juli 2011 in den USA eingeführt wird, hat es bereits mehr als 10 Millionen registrierte Nutzer, davon 1.6 Millionen zahlende Abonnenten, und wird mit 1 Mrd. US$ bewertet.


Spotifys agile Teamorganisation und Arbeitsweise beschleunigt Innovationen

Ein Erfolgsfaktor Spotifys ist – neben der fehlertoleranten Kultur – die agile Unternehmensstruktur und -arbeitsweise, die Spotify erlaubt, sich schnell zu bewegen. Anfänglich wird das Spotify Team im Wesentlichen durch seine SCRUM-basierte Arbeitsmethode geprägt. Ein paar Jahre später ist Spotify jedoch zu einer Gruppe von Teams herangewachsen, und es stellt fest, dass einige der Standard-SCRUM-Praktiken dem Fortschritt im Weg stehen. Spotify beschließt, SCRUM optional zu machen. Agilität ist wichtiger als SCRUM, und agile Prinzipien wichtiger als bestimmte Praktiken. Spotify nennt die Rolle des SCRUM Masters in Agile Coach um. Anstelle von SCRUM Teams wird jetzt von Squads gesprochen. Ein Squad ist ein kleines funktionsübergreifendes selbstorganisierendes Team. Autonomie ist die Hauptantriebskraft der Squads. Die Mitglieder der Squads tragen die End-zu-End-Verantwortung für alle Dinge, die sie erstellen: Design, Bereitstellung, Wartung, Betrieb. Autonomie bedeutet, dass das Squad entscheidet, was es baut, wie es baut und wie es dabei zusammenarbeitet. Statt die Methoden zu standardisieren, setzt Spotify auf den Ideenaustausch zwischen den Squads. Squads lassen sich von anderen Squads überzeugen und übernehmen neue Methoden, wenn die Kollegen mit diesen erfolgreich sind. Im selben Sinne hat Spotify ein Open-Source-Modell für Programmiercode geschaffen. Squads können so Code von anderen Squads einfach übernehmen und dadurch ihre Software schneller fertigstellen. Spotify ermuntert zu kleinen und häufigen Releases. Die Autonomie der Squads geht sogar so weit, dass Squads selbständig einen neuen Release freigeben können, ohne sich mit den anderen Squads abstimmen zu müssen. Dafür hat Spotify die IT-Architektur so umgebaut, dass entkoppelte Releases möglich sind. Natürlich gibt es ein paar Grenzen für jedes Squad wie z.B. die besondere Mission des Squads, die allgemeine Produktstrategie für seinen Produktbereich und die kurzfristigen Ziele, die jedes Quartal vom Squad neu verhandelt werden. Und bei aller Autonomie, die die Squads haben, ist es Spotify wichtig, dass alle Squads auf dieselbe Spotify Unternehmensvision und dieselben Unternehmensziele ausgerichtet sind. Die Squads sind also, wie Spotify es nennt, lose gekoppelt, aber straff ausgerichtet. Spotify sieht straffe Ausrichtung und Autonomie der Squads nicht als Gegensätze. Vielmehr erlaubt erst die straffe Ausrichtung der Teams auf dieselbe Unternehmensvision und dieselben Unternehmensziele, dass den Squads soviel Autonomie gegeben werden kann. Innovation bei Spotify ist also bottom-up. Sie befeuert das rasante Wachstum des Unternehmens. Die agilen autonomen Squads brauchen keine Genehmigung von der Unternehmensspitze, um eine neue Idee auszutesten. Die Innovation „Discover Weekly“ illustriert das sehr gut.


Die Innovation „Discover Weekly“

Im März 2015 treffen sich Chris Johnson und Ed Newett mit Matt Ogle und stellen ihm ihre innovative Idee vor. Alle drei arbeiten im Spotify Büro in New York. Chris Johnson hat in Computer Science und Machine Learning an der Universität von Austin promoviert, ist jetzt Machine Learning Manager bei Spotify und leitet ein Team von Ingenieuren für maschinelles Lernen, von Dateningenieuren und von Softwareingenieuren. Ed Newett hat einen Master of Science vom Georgia Insitute of Technology und ist jetzt Lead Software Engineer, Music Discovery bei Spotify. Matt Ogle hat einen Master of Arts in Englisch und Computer Science von der Universität von Alberta und arbeitet jetzt für Spotify als Senior Product Owner, What To Play. Johnson und Newett haben lange über ein Problem nachgedacht, das Spotify bislang noch nicht zufriedenstellend lösen konnte: Wie können Nutzer in einer Bibliothek von Millionen von Liedern die Musik entdecken, die sie wirklich lieben, ohne dass sie viel Zeit verschwenden müssen mit dem Anhören von Musik, die sie nicht mögen? Zwar hat Spotify 2013 bzw. 2014 mit „News-Feed“ bzw. mit „Discover“ Lösungen entwickelt, die den Nutzern personalisierte Musikempfehlungen unterbreiten. Aber die Nutzer müssen noch unnötig viel Zeit und Mühen aufwenden, um schließlich ihre Lieblingssongs zu entdecken und zu genießen. Mit ihrem Vorschlag, der fortan den Namen „Discover Weekly“ trägt, wollen Johnson und Newett für die Nutzer alle Unbequemlichkeiten bei der Entdeckung neuer Lieblingsmusik beseitigen. Wie wäre es, wenn Spotify die Musik, die Du in der Vergangenheit gehört hast, in Künstler-Cluster und Micro-Genres sortieren würde basierend auf der Technologie von Echo Nest, einer Musikanalysefirma, die Spotify 2014 gekauft hat? Wie wäre es, wenn Spotify die circa zwei Milliarden Playlists, die alle anderen Spotify Nutzer erstellt haben, analysieren würde und ihre Präferenzen algorithmisch mit Deinen Playlists abgleichen würde, so dass Spotify Dir dann eine neue Playlist vorschlagen könnte, die speziell für Deinen Geschmack entwickelt ist? Wie wäre es, wenn Spotify Dir jede Woche eine neue personalisierte Playlist schicken würde? Ogle gefällt Johnsons und Newetts Idee. Er holt einen Kollegen dazu, der die Rolle des advocatus diaboli spielt, um mögliche Löcher in der Idee zu finden. Die folgende Diskussion hilft, die Idee noch prägnanter zu machen und weiter zu verbessern. Innerhalb von ein paar Wochen hat Johnsons und Newetts Squad einen ersten Prototypen entwickelt. Das ist in dieser kurzen Zeit möglich, weil Spotify zu diesem Zeitpunkt bereits Daten von seinen 75 Millionen aktiven Nutzern gesammelt, Micro-Genres von Musik definiert und alle Stücke seiner immensen Musikbibliothek danach klassifiziert hat. Der Prototyp von „Discover Weekly“ nutzt Technologien der Künstlichen Intelligenz wie Collaborative Filtering, Natural Language Processing, Deep Learning und neuronale Netze. Er wird als Erstes von Johnsons und Newetts Kollegen, die alle aktive Spotify Nutzer sind, ausgetestet. Die Kollegen lieben „Discover Weekly“! Nach diesem hausinternen Experiment unternimmt das Squad einen weiteren schnellen Test, diesmal bei einem Prozent der aktiven Spotify Nutzer, d.h. fast einer Millionen Kunden, wobei zwei Versionen von „Discover Weekly“ mittels eines A/B Tests gegeneinander getestet werden. Auch hier ist die Resonanz überwältigend. 65% der Befragten finden einen neuen Lieblingssong in ihrer personalisierten wöchentlichen Playlist. Auf Basis dieser Daten beschließt das Management von Spotify, „Discover Weekly“ weltweit einzuführen. Die Skalierung der „Discover Weekly“ Algorithmen von einer Millionen Nutzer auf alle 75 Millionen Nutzer und das Ganze in 21 Sprachen und in mehreren Zeitzonen zwecks Auslieferung an jedem Montagmorgen erweist sich als eine große Herausforderung. Aber schon im Juli 2015 ist der Roll-out erfolgreich abgeschlossen. „Discover Weekly“ wird ein Riesenerfolg. Spotify gewinnt eine enorme Anzahl neuer Kunden hinzu. Diese sind verblüfft. Einer der Nutzer, Dave Horwitz, schreibt; „Es ist beängstigend, wie gut mich die Spotify „Discover Weekly“ Playlists kennen“. Und Abbey Dighans stößt ins gleiche Horn: „Discover Weekly“ kennt mich besser, als ich mich selbst kenne“. Spotify zieht daraus die Schlussfolgerung: „Wir glauben, dass ein wichtiger Unterscheidungsfaktor zwischen Spotify und anderen Anbietern von Audioinhalten unsere Fähigkeit ist, Musik … vorherzusagen, die unsere Benutzer genießen werden“.


Spotifys innovative Entschärfung von Fehlern

Innovationen wie „Discover Weekly“, die von autonomen Squads in größter Schnelligkeit entwickelt und ausgerollt werden, ermöglichen es Spotify, sich gegen massive Konkurrenz zu behaupten und selbst so finanzstarke Unternehmen wie Apple Music, Amazon Music Unlimited und YouTube Music auf Abstand zu halten. Spotify ist sich bei aller Fehlertoleranz gegenüber den autonomen Teams bewusst, dass es die Konsequenzen von Fehlern entschärfen muss (Kniberg-2 2014). Es fokussiert deshalb auf proaktivem Risikomanagement, schneller nachträglicher Fehlerbehebung und auf Postmortems bzw. Retrospectives, um aus den Fehlern zu lernen. Fehler dürfen nie ein tödliches Risiko fürs Unternehmen bedeuten. Deshalb arbeitet Spotify mit dem Konzept des „beschränkten Explosionsradius“. Releases passieren bei Spotify kontinuierlich, und sie sind klein. Wegen der Entkoppelung der Releases der einzelnen Squads wird ein Fehler eines Squads nie die gesamte Spotify Software betreffen, sondern nur einen Ausschnitt. Und das Squad hat normalerweise seinen Fehler deshalb auch schnell behoben. Und falls sich der Fehler nicht so leicht beheben lässt, wird der Release, der klein ist, einfach zurückgerollt. Hinzu kommt, dass ein neuer Release nur in Schritten freigeschaltet wird. Im ersten Schritt bekommt nur eine sehr kleine Anzahl der Nutzer die neue Software aufgeschaltet. Erst wenn sie fehlerfrei und stabil läuft, wird sie schrittweise allen Nutzern zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise kann Spotify die Experimentierfreude seiner Mitarbeiter befeuern, ohne ein unkontrollierbares Risiko fürs Unternehmen einzugehen.


Spotify sichert seine Marktführerschaft

Bis heute gelingt es Spotify, die führende Musikstreamingfirma der Welt zu bleiben. In seinem Börsenprospekt für die New York Stock Exchange vom 28. Februar 2018 berichtet Spotify bereits von 159 Millionen monatlich aktiven Nutzern und von 71 Millionen Premium-Abonnenten. Am 3. April 2018 geht Spotify an die Börse und erreicht im August des Jahres eine Unternehmensbewertung von mehr als 30 Mrd. US$. Im Geschäftsbericht für das Jahr 2019 spricht Spotify dann von 271 Millionen monatlich aktiven Nutzern und von 124 Millionen zahlenden Premium-Abonnenten per Stichtag 31. Dezember 2019. Trotz eines Umsatzes von 6.8 Mrd. US$ im Jahr 2019 ist Spotify aber noch nicht profitabel, sondern macht noch einen Betriebsverlust von 73 Mio. US$.


Dr. Rolf-Christian Wentz


Quellen:


  • Wentz RC (2020) Die neue Innovationsmaschine, Kindle Direct Publishing




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